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Das Tarot des Abbé Marolles

Einleitung

In seinen Memoiren notiert Michel de Marolles, Abbé (Abt) de Villeloin, dass er im Jahr 1637 die auf halber Strecke zwischen Paris und Lyon gelegene Stadt Nevers besucht hat und dort Gelegenheit hatte, mit der Prinzessin Louise-Marie de Gonzague-Nevers (der späteren Königin von Polen) Tarock zu spielen. Die Prinzessin hatte dem Spiel einige Neuerungen hinzugefügt und den Abt gebeten, diese zu notieren und drucken zu lassen. Es handelt sich um die ältesten bekannten Regeln des Tarockspiels überhaupt.

Das Spiel hat alle Wertungselemente, die später unter anderem für das deutsche und später dänische Grosstarock wesentlich sind und die man auch in anderen Dreispielervarianten fand, etwa in Nizza. Es spielt jeder für sich und es gibt Prämien für die Meldung von Kartenkombinationen, für Kartenpunkte mit der charkteristischen Zählweise, und für Gewinn oder Verlust von Tarots, wie in diesem Spiel die Könige, der niedrigste und höchste Trumpf und der Narr heissen. Ebenso gibt es den Ultimo, die Prämie für den letzten Stich mit König oder Trumpf I. Erwähnt werden solche Wertungselemente schon in einigen italienischen Quellen ca. 50 Jahre früher.

Karten

Man braucht ein italienischfarbiges Tarockblatt aus 78 Karten. Allerdings fand Prinzessin Marie-Louise das Spiel «angenehmer», wenn man aus den Farben «zwölf nutzlose Karten hinauswirft», nämlich die niedrigsten drei Ränge, so dass 66 Karten bleiben. Die Bilder, auch honneurs genannt, sind: le Roy (König), la Royne (Dame, Königin), le Cheualier (Cavall, Reiter), le Faon (Bube, vom italienischen fante). Die Rangfolge von oben, ist in den

langen Farben espées (Schwerter) und bastons (Stäbe):
      König, Dame, Cavall, Bube, 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4;

runden Farben couppes (Kelche) und deniers (Münzen):
      König, Dame, Cavall, Bube, Ass, 2, 3, 4, 5, 6, 7.

Das Münzass ist la Belle (die Schöne).

Dass die Nummern in den runden Farben umgekehrt wie in den langen Farben rangieren, findet man in den meisten älteren Tarocktraditionen.

Dann gibt es die 22 triomphes, 21 davon bilden die eigentlichen Trümpfe und sind von XXI abwärts bis I numeriert. XXI ist le Monde (Welt), I le Bagat (Pagat). Die 22. Triumphkarte spielt eine jokerartige Sonderrolle und heisst le Math (vom italienischen matto, Narr).

Könige, Narr, Pagat und Welt sind «die Tarots im eigentlichen Sinne» («les Tarots par excellence»).

Spielziel

Es gibt drei aktive Spieler. Jeder Spieler startet mit einer ausreichenden Zahl Marken.

Es gibt drei Wertungselemente:

Meldungen von Kombinationen von Karten die für das Spiel bedeutsam sind;

Kartenpunkte, Wert und Zählweise wird unten erläutert;

Faire le Bagat, ou vn Roy le dernier, Pagat oder König ultimo, d.h. im letzten Stich spielen.

Geben, drücken

Das Spielt geht rechtsherum.

Jeder spielt auf eigene Rechnung, es gibt keine formalen Parteien.

Der Geber mischt, lässt mutmasslich links abheben, und verteilt an jeden 4 mal 5 Karten und dann noch mal an jeden anderen eine, an sich selbst 4. Der Geber zeigt allen Spielern die letzte Karte und erhält von den beiden anderen Spieler je eine Marke, wenn es sich um einen Tarot handelt. Der Geber hat also 24 Karten, die anderen beiden Spieler 21.

Die beiden Nichtgeber drücken jeder eine Karte, der Geber vier, die am Ende jeweils zu ihren Gunsten zählen. Es dürfen keine Trümpfe und keine Tarots gedrückt werden. Wer es doch tut, zahlt zwei Marken Strafe an jeden anderen Spieler. Mutmasslich für jede solche Karte, ansonsten könnte ein Spieler billig hochwertige aber gefährdete Karten drücken.

Meldungen

Spieler können nun der Reihe nach bestimmte Kombinationen von Karten, die sie auf der Hand halten, melden und erhalten dafür Marken von den beiden anderen. Jede Karte kann in jeder der folgenden Kategorien, also mehrfach gemeldet werden. Die Meldungen sind freiwillig und werden nur bezahlt, wenn sie offen vorgezeigt werden, späteres Reklamieren ist nicht möglich. Wer eine Meldung hat, erhält folgende Zahl von Marken (M) von jedem anderen Spieler:

Tarots. Vier Tarots 1 M, jeder weitere Tarot +1 M.

Könige. Der Wert unterscheidet sich je nachdem ob der Spieler auch den Narren vorzeigen kann, das Prinzip lautet: Es muss sich um mindestens drei Karten handeln, drei echte Könige 1 M, vier echte Könige 3 M, der Narr zusätzlich 1 M. Also:

  • 2 Könige mit Math: 1 M
  • 3 Könige ohne Math: 1 M
  • 3 Könige mit Math: 2 M
  • 4 Könige ohne Math: 3 M
  • 4 Könige mit Math: 4 M

In seinen Angaben für die Werte der Königsmeldung hat Marolles mutmasslich teilweise die Bezahlung der Tarots miteingerechnet. Marolles gibt an: vier Könige = 4 M, das erhält man mit 3 M für vier Könige plus 1 M für vier Tarots; vier Könige und der Narr = 6 M, also 4 M für Könige und Narr plus 2 M für fünf Tarots. Allerdings gibt er für «Trois Roys & le Math» 2 M an, obwohl das wegen der vier Tarots 3 M wären. – Die Genauigkeit bei Wertungsangaben in historischen Regeln lässt häufig zu wünschen übrig.

Triumphkarten. Zehn 1 M, fünfzehn 2 M, zwanzig 3 M. Hat ein Spieler mehr als er ansagen möchte oder kann (z.B. 13), sucht er sich diejenigen (10) aus, die er vorzeigen möchte.

Imperiale. Alle vier Bilder einer Farbe oder alle vier Damen, Cavalle oder Buben: jeweils 1 M. Eine Karte darf in beiden Imperiale-Arten gemeldet werden, z.B. wenn ein Spieler alle Bilder der Kelche und alle Damen hat: 2 M.

Brizigole. Die lückenlose Folge der vier, fünf, bzw. sechs höchsten oder niedrigsten Trümpfe: 1 M, 2 M, bzw. 3 M.

Tout les trois. (Kein Ausdruck von Marolles) 3 M für alle drei Triumph-Tarots (XXI, I, Math). Wer nur zwei davon hält fragt «qui à le sien?» (wer hat den seinen?) und erhält vom Spieler, der keinen hält, 1 M.

Marolles gibt nicht an, wann diese Meldungen gemacht werden. Typisch (aber keineswegs universell) wäre, dass  gemeldet wird, wenn ein Spieler seine erste Karte zum Spiel ausspielt.

Marolles gibt nicht an, ob die Meldungen maximal sein müssen, wie man das in modernen Regeln verlangen würde, d.h. ob ein Spieler der z.B. 16 Trumpf oder vier Könige hält, stattdessen auch nur 10 Trumpf (statt 15) oder drei Könige melden darf.

La belle. Ein Spieler der Münzass spielt erhält 1 M, egal wer den Stich gewinnt und von welcher Position die Karte gespielt wird. Marolles gibt an, dass man La Belle auch mit 7 Tarots melden kann. Möglicherweise ist gemeint, dass der Spieler das Münzass nach Belieben vorzeigt und dann von jedem 1 M bekommt.

Abspiel der Karten

Der Spieler rechts vom Geber spielt die erste Karte, jeder legt eine dazu. Die Regeln entsprechen denen fast aller Tarockspiele:

  • Es muss Farbe bedient werden, d.h. wer Karten der angespielten Farbe auf der Hand hält, muss eine davon spielen.
  • Wer nicht bedienen kann, oder wenn Trumpf angespielt wurde, muss Trumpf spielen.
  • Der höchste Trumpf gewinnt den Stich, oder die höchste Karte der angespielten Farbe, wenn kein Trumpf gespielt wurde.
  • Der Gewinner eines Stichs spielt zum nächsten an.

Wenn ein Spieler einen Tarot spielt, erhält er von den beiden anderen je eine Marke; es sei denn, der Tarot geht verloren, dann muss er jedem eine Marke zahlen, was nur bei Königen und Pagat möglich ist.

Spieler, die das moderne französische Tarock kennen, werden bemerken, dass es nicht nötig ist einen gespielten Tarock zu überstechen, wenn man Tarock spielen muss. Die moderne französische Regel ist in diesem Punkt einzigartig unter den Tarcockvarianten.

S’excuser

Der Narr kann jederzeit gespielt werden anstatt zu bedienen oder Tarock zu spielen, und wird dann zu den Stichen seines Halters abgelegt, kann also nicht verloren gehen, macht aber auch keinen Stich. Den Narren so spielen heisst «s’excuser» (sich entschuldigen, daher die spätere deutsche Bezeichung «Sküs» für die Karte und «sküsieren» für ihren Einsatz). Ein Spieler, der es versäumt sich zu sküsieren, zahlt zwei Marken an jeden anderen Spieler.

Marolles schreibt nicht, ob es erlaubt ist, den Narren als erste Karte zum Stich zu spielen. Falls ja, kann man spielen, dass dann der zweite Spieler spielen kann, was er will, und dies festlegt, was der dritte spielen muss.

Es ist denkbar, dass es nicht erlaubt war, den Narren zum Stich anzuspielen. Dann kann es passieren, dass ein Spieler den Narren nicht vor dem letzten Stich spielen kann und dann im letzten die Strafe zahlen muss.

Endwertung

Ultimo. Gewinnt ein Spieler den letzten Stich mit einem König oder Pagat, erhält er 6 Marken von jedem anderen. Spielt er diese Karte zum letzten Stich ohne ihn zu gewinnen zahlt er 6 an die anderen (dies steht nicht explizit bei Marolles).

Die Kartenpunkte werden in Dreierlagen gezählt: Jeweils eine Wertkarte mit zwei wertlosen oder leeren Karten. Der Wert einer Dreierlage ist gleich dem der Wertkarte. Je drei überzählige Leerkarten zählen einen Kartenpunkt. Wertkarten sind die Tarots mit einem Eigenwert von je 5, Damen 4, Cavalls 3, Buben 2.

Ein Spieler mit einem unterdurchschnittlichen Ergebnis zahlt an die beiden anderen:

KartenpunkteMarken
24 – 210
20 – 161
15 – 112
10 – 63
5 – 1 4
05

Die letzten beiden Angaben macht Marolles nicht, vermutlich weil es unter guten Spielern sehr seltene Fälle sind.

Marolles schreibt: «il est requis que chacun des trois pesonnes qui joüent aye vingt-cing de ces points dans son jeu». Prinzipiell ergeben sich insgesamt 74 Kartenpunkte, so dass 25 ein überdurchschnittliches Ergebnis wäre. Marolles sagt allerdings nicht, wie die am Anfang abgelegten Einzelkarten gezählt werden, was passiert, wenn man zuwenig Leerkarten hat und wie der Umstand zu behandeln ist, dass bei gespieltem Narren dessen Halter eine Karte zuviel und der Gewinner des Stichs eine zuwenig hat.

Die einfache Lösung ist, so zu verfahren wie in anderen Tarockspielen:

  • Eine Dreierlage mit zwei Wertkarten zählt Wertsumme weniger eins, eine mit drei Wertkarten Wertsumme weniger zwei.

  • Zwei überzählige Karten werden behandelt, als wäre eine dritte Leerkarte dabei.

  • Einzelne überzählige Wertkarten zählen Wert weniger eins, überzählige Leerkarten nichts.

Notiz zum Ultimo-Element

Wenn man annimmt, dass die Bezahlung der Kartenpunkte nur selten mehr als 3 M ausmacht und das mit König oder Pagat ultimo vergleicht, was immer 6 M von oder an jeden zählt, also 12 M wert ist, dann wird deutlich dass der Ultimo das bedeutendste Spielelement ist. Das ist vergleichbar mit der Proportion im Tarock von Nizza, wo der Pagat ultimo immer 4 M wert ist, die Kartenpunkte 1 bis 4. Im piemonteser Mitigati von ca. 1780, war das Verhältnis sogar 3 zu 1: 60 für den Pagat ultimo, max. 20 für die Kartenpunkte (Dummett/McLeod 2004, Spiel 8.7).

Als das Grosstarock in der deutschen Kartenspielliteratur auftauchte (Regeln bey dem Taroc-Spiele, 1754) war der Ultimo noch relativ niedrig bewertet (Pagat ultimo 20 M gegen max. 50 für die Kartenpunkte), wurde dann immer weiter aufgewertet bis zur dänischen Proportion ab ca. 1900: mind. 145 für König ultimo, max. 50 für Kartenpunkte, was in etwa den Relationen in Nizza oder in Piemont 100 Jahre oder Marolles 250 Jahre früher entspricht.

  • Depaulis, Thierry (2002), Quand l’abbé de Marolles jouait au tarot. Le Vieux Papier, Fascicule 65, Juli: 313–26.
  • Dummett, Michael; McLeod, John (2004), A History of Games Played with the Tarot Pack. Edwin Mellen, Lewiston, Queenstown, Lampeter. Englische Beschreibung nach Depaulis (2002): Spiele Nr. 2.1–2.3, Bd. 1: 17–22.
  • Marolles, Michel de (1637), Regles dv iev des tarots. Jean Fourré, Nevers. Gedrucktes Pamphlet, in der Manuskriptsammlung der Bibliothèque nationale de France: Dupuy 777, f° 94–97. Online auf Hans-Joachim Alschers Tarockseiten. Autor, Verlag, Ort und Jahr nach Depaulis (2002).
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© Ulf Martin, 2022, 2023. Version aktualisiert am: 29. April 2023

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